Interview mit Teis Semey

Interview mit Teis Semey

Letztes Jahr war er als Teil der Bigband "Brainteaser Orchestra" mit dabei. Dieses Jahr ist er mit "EN MASSE!" und "Raw Fish", seinen eigenen Bands und mit zwei besonderen Konstellationen auf verschiedenen Bühnen bei uns in Saalfelden zu hören.

Ich fing mit sieben Jahren an, Gitarre zu spielen, weil ein Freund meines Vaters irgendwann bei uns zu Hause Gitarre spielte. Ich erinnere mich, wie fasziniert ich davon war, wie schön es klang, wenn er Harmonien spielte. Ich muss meinem Vater davon erzählt haben, denn kurz darauf kam er mit einer kleinen Gitarre für mich nach Hause. Ich spielte viel, hörte aber irgendwann wieder auf. Als ich elf war, entdeckte ich ACDC und Green Day – das brachte mich dazu, die Gitarre wieder in die Hand zu nehmen. Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört.

Es ist schwer zu sagen, ob ich beschreibe, was ich mir wünsche, dass sie ist – oder was sie tatsächlich ist. Ich möchte, dass sie intuitiv, mutig und leidenschaftlich ist – und so versuche ich mich auch selbst zu fühlen. Ich hoffe, das kommt rüber!

Da ich unter so vielen verschiedenen Umständen spiele, ist es schwer, irgendwelche Rituale einzuhalten. Ich versuche aber immer, vor dem Auftritt etwas Zeit allein mit der Gruppe zu verbringen, mit der ich spiele – und kurz vor dem Auftritt nicht mehr mit anderen Leuten zu sprechen. So entsteht für mich mehr das Gefühl, dass wir ein Team sind. Außerdem spiele ich immer ein bisschen auf meinem Instrument, bevor ich auf die Bühne gehe – das hilft mir, mich mit meinem Instrument verbunden zu fühlen.

Ich benutze überhaupt keine KI und habe auch kein Interesse daran. Ich finde, Kunst (und Kommunikation) sollte eine Erweiterung gelebter menschlicher Erfahrung sein. KI verwandelt Verbindung in bloßen Informationsaustausch – das finde ich ziemlich vulgär. Ich mache lieber Fehler, schreibe mit Rechtschreibfehlern und arbeite langsam. So ist meine Musik – und mein Schreiben – mehr ich selbst. Und genau das möchte ich teilen. Kein generiertes Medium aus bereits Existierendem, sondern das, was ich bin.

 

Das heißt aber nicht, dass ich keine Elektronik verwende – im Gegenteil. Ich liebe elektronische Musik und finde die klanglichen Möglichkeiten extrem spannend. Ich arbeite viel mit Sampling, Drum-Synths, Effekt-Synths, Keyboards und Pedalen. Das zwingt mich oft dazu, neue Wege zu gehen. Für mich ist das Wichtigste, seine Werkzeuge gut zu kennen, um mit ihnen wirklich die eigene Geschichte aus einer neuen Perspektive erzählen zu können. Es interessiert mich nicht, Effekte nur um der Effekte willen zu nutzen. Aber wenn sie eine unterstützende – und nicht führende – Rolle spielen, dann können elektronische Mittel der Musik wirklich eine neue Dimension verleihen.

Sowohl ja als auch nein. Ich bin in Dänemark aufgewachsen, bin als Teenager nach Schweden gezogen und später in die Niederlande. In gewisser Weise habe ich dadurch sicher einiges an späterer „Indoktrination“ in musikalische Traditionen verpasst. Andererseits denke ich, dass die kulturelle Bindung an lokale Volksmusik ohnehin sehr schwach ist – selbst wenn ich in Dänemark geblieben wäre, würde ich wahrscheinlich trotzdem mehr Kendrick Lamar hören als dänische Volksmusik.

 

Andererseits mussten wir als Kinder in der Schule jeden Morgen um halb acht in die Turnhalle, zu Gott beten und zwei traditionelle Psalmen singen. Diese Lieder haben mir immer viel bedeutet. Einige davon habe ich auf meinem Album Midnight Mess aufgenommen. Erst später habe ich angefangen, mich mit dänischer Volksmusik zu beschäftigen – auf der Suche nach meinen Wurzeln, aber auch mit dem Wunsch, mich auf meine eigene Weise damit auseinanderzusetzen. Die Musik aus meiner Perspektive zu zeigen. Deshalb habe ich mich auch entschieden, die Liedtexte auf Midnight Mess nicht mit aufzunehmen. Für mich ging es immer um die Harmonie und die Melodie. Und außerdem sprechen die Sänger*innen sowieso kein Dänisch – ein glücklicher Zufall.

Ehrlich gesagt kann ich mich gar nicht erinnern, das so gesagt zu haben! Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass die Tradition des Jazz im Musikgeschäft ziemlich ausgehöhlt wird. Es fühlt sich manchmal schwer an, überhaupt noch zu wissen, worum es in unserer Musik eigentlich geht. Ein wirklich wichtiger Aspekt des Jazz ist es, die Pionier*innen dieser Musik zu studieren. Die „Elders“, wie manche sie nennen – obwohl ich diesen Begriff etwas mystifizierend und albern finde. Jedenfalls waren meine eigenen Idole – Coltrane, Mingus, Dolphy, Miles, Monk, Bud Powell, Elvin Jones usw. – alle schwarz und Opfer von Rassismus in den USA. Manche haben öffentlich dagegen gekämpft, andere weniger, aber ich denke, dass Schwarze Identität und das Leben als rassifizierte Minderheit eine große Rolle in der Tradition dieser Musik spielen. Als weißer Mann kann ich diese Identität nicht wirklich teilen. Das hat mich teilweise dazu gebracht, meine eigenen musikalischen Wurzeln zu suchen, weil ich nicht das Bedürfnis habe, eine fremde Identität zu imitieren. Gleichzeitig musste ich mich mit dem antirassistischen Kern meiner Musik auseinandersetzen.

 

Vielleicht stammt das Zitat daher. Wenn Jazz antirassistisch war, dann sollte Jazz auch heute noch antirassistisch sein. Wenn Jazz im Kern etwas mit der Schwarzen Erfahrung in den USA zu tun hat, dann geht es für mich auch um die Verbrechen der Sklaverei und des Kolonialismus. Und ich sehe keinen Grund, warum Jazz aufhören sollte, diese Botschaft zu verbreiten.

In dem Streben nach kommerziellem Erfolg scheint mir die Musikindustrie diesen Teil der Tradition oft vergessen zu haben. Dekolonisierung und Antirassismus betreffen heute ganz konkret Palästina, nicht-europäische Migration und den Kampf gegen die extreme Rechte auf nationaler Ebene. Ich will niemandem vorschreiben, dass das ihre Hauptbotschaft sein muss. Aber ich finde, es wurde zu sehr vergessen. Als mir das klar wurde, wurde mir auch klar, dass meine eigene musikalische Geschichte – mein Jazz, wenn man so will – dieses Gefühl unbedingt enthalten muss.

 

Das heißt aber nicht, dass ich ein „Traditionalist“ bin. Ich glaube nur, dass man aus der Tradition wichtige Lektionen lernen kann – sie ist eine ständige Quelle musikalischer und existenzieller Entdeckungen.

Meine Musik ist immer so komponiert, dass sie Improvisation ermöglicht und fördert. Nur ganz am Anfang meiner Karriere habe ich versucht, echte „Stücke“ zu schreiben. Ich habe festgestellt, dass meine musikalische Geschichte unbedingt Kollektivismus beinhalten muss. Improvisieren, gemeinsam Entscheidungen treffen, die Musiker*innen stärken und ihnen erlauben, die Musik auf ihre eigene Weise zu bereichern – das ist mir wichtig.

 

Diese Freiheit liebe ich selbst, und ich möchte sie auch den Menschen geben, mit denen ich spiele. In diesem Sinne sind viele meiner Stücke weniger Kompositionen als vielmehr klangliche Anleitungen zur Improvisation. Ich experimentiere damit, wie viel und welche Art von Freiheit ich in bestimmten Momenten gebe, aber ich würde sagen, dass es nie völlige Unfreiheit gibt. Ich möchte immer, dass meine Mitmusiker*innen sich die Musik zu eigen machen und sie auf ihre persönliche Weise zum Leben erwecken – nicht einfach nur meine Anweisungen befolgen.

 

Man könnte sagen: Nur weil ich die Musik aufschreibe, heißt das nicht, dass ich kontrollieren will, wie jemand anderes sie beim Spielen empfindet. Andere Ausdrucksformen zu kontrollieren, schafft eine unangenehme Hierarchie zwischen „Chef“ und „Ausführendem“, die mir nicht gefällt. Natürlich habe ich Visionen und Ideen für meine Stücke, aber ich glaube, ich lasse genug Raum, um zu leiten – nicht zu befehlen.

Ich suche vor allem nach Musikerinnen, die ein hohes Maß an Freiheit auf ihrem Instrument erreicht haben. Man könnte es auch Können nennen, aber ich sage Freiheit, weil es für mich nicht nur technische Fertigkeit ist, sondern auch Sensibilität, Sprachgewandtheit und Intuition. Ich lasse mich sehr von Musikerinnen inspirieren, die sich auf hohem Niveau frei ausdrücken können, die warmherzig sind, etwas zu sagen haben – und den Mut und die Leidenschaft, es auch zu sagen.

Ganz ehrlich: alles. Ich möchte wirklich, dass die Menschen es genießen und die Magie spüren, wie ich sie spüre. Die Energie, die Ehrlichkeit, die Leidenschaft. Freiheit. Freude, Wut, Liebe. Harmonie, Groove, Energie. Und wenn auch nur eines dieser Dinge durchscheint, dann bin ich glücklich.

Haha, das ist schwer zu sagen. Ich freue mich wirklich sehr darauf, dieses Jahr nach Saalfelden zu kommen. Ich habe die unglaubliche Chance bekommen, vier verschiedene Konzerte zu organisieren, und ich arbeite hart daran, die Fans und Musikliebhaber*innen nicht zu enttäuschen, die weite Wege auf sich nehmen und ihr hart verdientes Geld ausgeben, um die Musik zu hören. Das ist ein Geschenk, das ich nicht als selbstverständlich betrachte – und ich bin fest entschlossen, euch allen die besten Konzerte meines Lebens zu geben. Bis bald!

21. - 24.8.2025
Jazzfestival Saalfelden